Während ich beim Betrachten der Hochrechnungen nur noch Trübsal blies, bemerkte ich, wie die bessere Hälfte neben mir die Ruhe selbst vor dem Sturm zu sein schien. Ich fühlte die kommende soziale Kälte bereits aus der Tagesschau heraus an meinem Körper von unten heraufkriechen und wollte mich an meine Partnerin kuscheln, meinen Augenwinkeln entrannen ein paar Tränchen ob des Wahlausgangs. Doch die Liebste rührte sich nicht, zeigte sich versteinmeiert. Ich kannte diese Symptome bereits: Gleich würden nicht nur Tränen, sondern wütender Schaum aus ihr hervorquellen, dessen war ich mir sicher. Das Ergebnis der Bundestagswahl würde sie ihre Ankündigung von gestern Nachmittag in die Realität umsetzen lassen. Und dann ginge meine Freundin morgen in die Stadt, in’s Büro,
…und dann…wird sie Mitglied bei der SPD!
Zielbewusst, wie ich sie kenne, würde sie den Laden komplett aufmischen. Ihrem kalten Kalkül zufolge müssten ihr sämtliche lokale Politgranden von Anbeginn hörig sein. Als erste neue Doktrin wird der Basis vermutlich auferlegt werden, alle müssten sich mal “ordentlich anziehen”, nicht so schlodderig wie die Nahles. Anzüge und Kostüme müssen sitzen. Zum Beispiel für Männer mit gut sitzenden Anzügen hat meine Freundin nämlich ein Faible. Würde Harald Schmidt kandidieren, er besäße sofort ihre Stimme. Doch das scheint nicht die letzten Endes ausschlaggebende Kategorie für den Parteibeitritt zu sein (“Gysis Schneider geht auch.”).
Ich vermute, dass hinter diesem Schritt Mitleid mit der Partei liegt. Mitleid über schlechte Werte und die vielen Austritte. Letztendlich wiegt aber auch die Auffassung enorm, dass Schwarz-Gelb-Angehörige in der Regel nur von hier bis morgen denken können und dass dieser merkwürdig-unerklärlichen Faszination beim Volk für eben diese kurzfristigen Heilsversprechen ein Ende bereitet werden muss.
Wie ich das finde? Nun, sie hat ihren eigenen Kopf, und das ist, wie ich meine, gut so (um einmal Klaus Wowereit, ihren künftigen Genossen zu zitieren (den wir kürzlich in Berlin trafen, die Fotos von diesem Treffen aber lieber erst einmal schön unter Verschluss gehalten werden sollen. Vielleicht kann man die ja noch einmal verwenden).
Ich weiß, bislang hielt sie die Aussicht, zunächst ganz unten in der Hierarchie einsteigen zu müssen, von diesem Schritt ab. Diese Bedenken sind jedoch mit der jüngsten Wahlschlappe hinweggefegt worden. Jetzt wird “der Laden” wieder sozialdemokratisch im wahren Sinne von sozialdemokratisch auf Linie gebracht. Mal abgesehen davon wird sie wahrscheinlich dank des innerparteilichen, demografischen Wandels bald automatisch an der Spitze stehen. Seeheimer Kreis my ass.
Ein wenig Angst habe ich ja, zugegeben. Was ist, wenn Franz Müntefering auf einer seiner Touren künftig anruft und um einen Schlafplatz bittet? Hoffentlich schnarcht er keine utopischen Phrasen vor sich hin.
Und müsste ich mir in Zukunft Vorwürfe gefallen lassen, weil mir bei journalistischen Arbeiten nachgesagt würde, ich wäre aufgrund meiner persönlichen Bindung parteiisch? Nein, meine Freundin würde noch stärker als bisher hämische Kommentare von mir ernten.
P.S.: Sie hat’s heute morgen tatsächlich getan. Erwarten Sie bald an dieser Stelle den Bericht: “Mit ‘ner Soze im Bett”.
P.P.S.: Mir fiel soeben erst ein, diesen Beitrag mit “SPD” zu verschlagworten. Es könnte hier schließlich in der Zukunft jede Menge unterhaltsamer Berichte von der “alten Tante” geben.
5 Kommentare
Find’ ich super.
Es gibt i. d. Tat schlimmeres.
Zu Beginn des Berichtes dachte ich schon jetzt kommt sowas wie: Meine Freundin hat FDP gewählt. ;) Aber das ich ja doch erträglich. Ich seh dich schon als First Lady, ähmmm, First Man der BRD vor mir. ;)
Find ich gut. Guter Zeitpunkt um loszulegen!
“First Lady” zu sein ist in der Tat eine erstrebenswerte Zukunftsperspektive. Ich sollte sie genauer in’s Auge fassen, zumal man sich für diesen Job nicht zu auffällig in der Öffentlichkeit bewegen dürfte.
Schön zuhause bleiben, bei Glotze und Büchern. Fantastisch.
Wowi erzählt bei Beckmann gerade, dass die SPD heute über die Maßen viele Parteieintritte gehabt hätte (allein in Berlin über 100). Pass auf, dass die nicht ein anderer die First Lady Position streitig macht.
Ein Trackback/Pingback
[…] Wie an anderer Stelle bereits beschrieben, komme ich seit Kurzem in den Genuss, einen Werdegang in der guten alten Tante SPD aus nächster Nähe mitverfolgen zu dürfen. Vor einigen Tagen lag dann auch ein dicker, roter Umschlag in der Post. Darin befanden sich: Kugelschreiber, die “SPD-Card”, mehrere Fragebögen und Anschreiben. Nennen wir es den SPD-ÜberlebensEinsteigerkit. […]
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