Am Social Media-Lesen von “Unendlicher Spaß” hatte ich mich nicht beteiligt. Auch nicht aktuell bei der Lektüre von “Der bleiche König”. Dennoch muss ich zugeben, dass ich ein waschechter Fan von David Foster Wallace geworden bin. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich hab jetzt alles durchgelesen, was er geschrieben hat und was auf deutsch zu haben ist (zwei Umstände, die naturgemäß nicht unbedingt miteinander korrelieren, OK*).
Es gab Momente beim Lesen von Wallace, bei denen ich sofort – also ad hoc, ab initio – mittelschwer depressiv wurde (F32.1 nach ICD-10). Dazu zählt die kurze, zehnseitige Geschichte “Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HLW” (NICHT LESEN! (Also doch)) aus dem hierzulande zu habenden Band “Alles ist grün”. Eine solche, spontane emotionale Reaktion dürfte bei überhaupt irgendeiner Lektüre schwer vorher zu sehen sein. Es war der pure Wahnsinn: Ich hab mich sofort hingelegt. Perfide ist allerdings der Umstand, dass man es trotzdem liest. Und das liegt ein bisschen daran, dass Wallace so schreiend komisch ist.
Oder sagen wir mal anstelle von “schreiend komisch”: Wirklich nichts, aber auch gar nichts Ernst nimmt. Im Prinzip geht es nämlich in seinem Gesamtwerk um’s menschliche “Rumkommen”. Um das Leben um des Lebens Willen. Wenn das ganze Brimborium wie in “Unendlicher Spaß” auf eine Art allumfassender Unterhaltungsindustrie zu läuft, stellt sich das Dasein selbstverständlich bald als ein ziemlich heiß aufgeblasener Luftballon heraus**. Da nimmt es nicht Wunder, wenn der Vorgänger – “Der Besen im System” – sich als die reinste Konsumkritik entpuppt und die darin gezeichneten Figuren reihenweise zum Psychiater*** rennen.
Nach dem Lesen von “Der bleiche König” ist man dann auch beinahe wieder so weit. Denn hier wird das Steuersystem und die Finanzierung des Staats ad absurdum geführt wird. Das ist nicht so einfach auf die leichte Schulter zu nehmen, schließlich geht es dabei um die Aufrechterhaltung der Gesellschaft. Und was macht Wallace? Schleicht sich in die Behörden ein und stellt fest, dass sie ausschließlich von Neurotikern und Personen mit wahnsinnig verzerrten Angststörungen geführt werden. Ist vielleicht nicht überraschend, aber er bereitet jede Pointe mindestens zehn Seiten lang vor.
Leute mit ähnlich gelagerter Disposition verstehen recht schnell, woran Wallace resignierte. Nämlich daran, dass jede noch so intensive Einflussnahme am Lauf der Welt nichts ändert. Das Stoffwechselgehoppse bleibt wie gehabt und am Kometencrash des nächsten Dinosaurier-Endes kann auch niemand drehen. Wir können die Zeit nur füllen.
Der Unterschied ist bloß der, dass wir(!) beinahe mitlesen können, wie Foster Wallace allmählich verzweifelte. Und dann irgendwann dachte: “Jetzt geht es ohne”, und seine MAOI eigenständig absetzte. Die Folge war, dass sein bester Freund Jonathan Franzen Teile seiner Asche in den Wind des Südatlantiks verstreute (nachzulesen in “Weiter Weg”).
Wir leben weiter.
*Ich fang schon genau so an wie Wallace zu schreiben, mit seinen unglaublich vielen Klammern und Fußnoten. Entsetzlich. Aber stellen Sie sich als LeserIn mal vor, der Autor würde so etwas nicht mitliefern. Empfänden Sie das nicht vielleicht nicht auch als realitätsfern, “weltfremd” oder in irgendeiner Form total distanziert?
**Apropos Unterhaltungsindustrie: Ein nicht ganz unwesentlicher Teil von “Unendlicher Spaß” dreht sich um einen Film, der seine Zuschauer quasi paralysiert und suchtfördernd ist, demnach von gewissen, sich gegen arbeitenden Organisationen zum Einen als gefährlich, zum Anderen als begehrenswert eingestuft wird. Und an der Stelle meine ich, dass David Foster Wallace mit seinem literarischen Werk genau das gelungen ist, was er dort prophezeit: Er versetzt seine Lesegemeinde in ein gedankliches Koma. Ich meine das nicht witzig. Gucken Sie mal, wie viel Zeit seit meinem letzten Blogeintrag hier in’s Land gegangen ist.
***die übrigens ebenfalls ganz, ganz derbe einen an der Klatsche haben.