Ich hatt’ ja nicht geahnt, wie anstrengend und gefährlich ein Silvesterabend in meiner gegenwärtigen Wahlheimatstadt Bielefeld sein kann. Verbrachte ich doch Jahresausklangsfeste bereits in anderen, größeren Metropolen, muss ich gestehen, dass ich bisher nirgendwo so oft zusammengezuckt bin wie hier. Nach einem eher gemütlichen Beginn mit umfangreichen Raclette in kleiner Runde und mit Beinahe-Zerwürfnis bemerkten wir nach zwölf Uhr auf der Straße, dass Appelle wie „Brot statt Böller“ am überwiegenden Teil des Jungvolks dieser Stadt eher abgeglitten waren. Findige Versicherungsmakler kämen schnell auf die Idee, Fassadenversicherungen speziell für Silvester zu entwickeln, denn hier wurde anscheinend ein neuer Volkssport erfunden, der auf die größtmögliche Beschädigung von Hauswänden setzt.
Ein wenig erstaunt über diese Umstände zogen wir an den Ort, an dem in dieser Nacht das größte Aufeinandertreffen zum Begehen des neuen Datums stattfand, dem sogenannten Siegfriedplatz. Der Weg gestaltete sich zwar an jeder Kreuzung als Survivaltraining, dort aber dann verwunderlicherweise unverwundet angelangt, traute ich meinen Augen kaum. Erwartet hatte ich eine große Menschenmenge, viele sich lange nicht gesehene Leute, die sich über die Freude des Wiedersehens in den Armen liegen und zuprosten. Aber nein, auch hier blieben einsame Herzen ungeküsst. Die Masse stand im Kreis um den großen Platz und bedeckte diesen mit Chinakrachern und Raketen, beschoss sich sogar teilweise damit. Ich wurde beinahe taub, ich war betrübt, ich trank Bier.
Dennoch stießen wir auf einige vertraute Gesichter, offensichtlich ebenso überrascht wie wir. Wir trafen den Entschluss, eine von diesem Geschehen weiter entfernte Wohnung aufzusuchen und für weitere Gaumenfreuden mit einem Käsefondue zu sorgen. Zwischenzeitig, auf dem Weg dorthin, ergaben sich natürlich die üblichen Irritationen, die so passieren, wenn das ganze Volk auf der Straße spaziert [Wie lange muss man warten, bis ein Reperaturanruf als Entschuldigung für langes Nicht-Gesehen-und-Trotzdem-Weitergegangen angemessen erscheint?]. Das Fondue gestaltete sich zwar als weise Entscheidung, aber der spätere Weg nachhause war erneut ein anstrengender. Wie das nun einmal so ist, wollen einige der Mitstreiter noch auf irgendeine Party und kaum hat man selbst etwas getrunken, wird man willenlos und reiht sich mit ein. Nach weiteren drei Stationen (unsere Bemühungen blieben zur Gänze erfolglos, entweder war es zu voll, zu teuer oder es wurde niemand mehr hineingelassen) kehrten wir wieder heim. Morgen muss ich mir neue Schuhe kaufen, denn meine sind von den vielen Böllerresten auf den Straßen ganz angefressen worden.
P.S.: Wenn es das nicht bereits gibt, könnte man aus so einer Nacht auch ein Spiel für den PC oder für Konsolen wie Playstation oder Xbox kreieren: Zahlreiche Aufgaben müsste man erledigen, um weiterzukommen, Böllern ausweichen, an einigen Stationen Energie auftanken (Raclette-/Fondueessen usw.). Das Ziel oder Sinn des Ganzen müsste natürlich verschleiert oder gar nicht erst vorhanden sein. Vielleicht wäre einfach überleben `ne Möglichkeit. Großzügig, wie ich bin, verzichte ich auf jegliche Rechte auf die Idee. Damit möchte ich nämlich nicht in Verbindung gebracht werden.