Ein als im Vorfeld spassig gedachtes Wochenende in der Hauptstadt des geeinten Deutschlands sollte sich für mich zumindest in einem Punkt als äußerst unangenehm gestalten.
Eine Exkursion der literaturwissenschaftlichen Fakultät mit Pflichtbesuchen in einigen Museen Berlins versprach aufgrund ausreichender Freizeit Anlass zu reichlich Gelegenheiten eigenen Interesses zu bieten.
Auf der Hinfahrt im Bus bemerkte ich bereits, dass ich nur einige Gesichter der Teilnehmer lediglich vom Sehen kannte. Das sollte aber kein Grund für missmutiges Gestöhne sein, denn die Fakultät ist riesig und man kann sich ja schließlich kennenlernen. Ich beschloss, in der mir verbliebenen eigenen Zeit des zweiten Ausflugstags eine Eintrittskarte für die vielkritisierte und dennoch vielbesuchte MoMA-Ausstellung zu ergattern und mal zu schauen, ob noch jemand anderes mitkommen würde. Es fanden sich auch zwei Mädels, anscheinend ein paar Jährchen älter als ich, aber in den Magister-Studiengängen ist ein Alter jenseits der Dreißig keine Seltenheit und wurde auch von mir so empfunden. Ich behandelte daher die beiden – nennen wir sie der Anonymität halber Anja und Anke – nicht anders als andere Mitmenschen, also mit Respekt und Witz, der nicht unter die Gürtellinie ging.
Wir wateten nach – für diese Ausstellung relativ kurzen – anderthalb Stunden Wartezeit jede/r für sich in höchster Ehrfurcht durch die Gemäldegalerie. Merkwürdigerweise empfand ich ausgerechnet beim Anblick Jackson Pollocks „No. 1“ (s. Header) entsetzliche Hungergefühle im Magen, die ich anfangs noch zu unterdrücken vermochte. Dennoch war es mir nach zweieinhalbstündigem Aufenthalt und noch so viel meisterhafter Erhabenheit nicht mehr länger möglich, diesen nachzugeben. Die Suche nach den beiden zufälligen Begleiterinnen hatte bei Anke Erfolg, aber Anja blieb verschollen. Wir einigten uns darauf, die Nationalgalerie mehrmals zu durchsuchen, ohne die Dritte im Bunde zu entdecken. Erst wieder bei der Garderobe angelangt, reichte man uns eine Nachricht mit dem Hinweis, Anja sei weiter ins Theater gezogen.
O.K., die Sorge, sie sei von einem Van Gogh-Gemälde verschlungen worden, erwies sich demnach als unbegründet, d.h., ich konnte reinen Gewissens ans Schlingen denken. Anke schloss sich gerne an. Da die Preise in den Fressbuden in B-Mitte aber unverschämt erschienen, beschlossen wir, den Rückweg Richtung Schöneberg anzutreten, wo wir mit der Restbaggage quartierten in der Hoffnung, dort ein günstigeres Lokal und evtl. ein paar unserer Kommilitonen zu treffen. Wie sich schnell herausstellen sollte, hatte ich von uns beiden wahrscheinlich als einziger den Wunsch, den Anschluss an die restliche Gruppe zu finden.
In einem griechischen Restaurant unweit des Studi-Hotels gelandet, die Preise waren trotzdem hoch, aber egal, denn mein Hunger war inzwischen hörbar, bestellte ich schnell etwas, das sich in meinen Augen nett las. „Kannst du mir bis morgen Geld leihen?“ tastete Anke sich heran. „Ja, klar. Bloß etwas in den Magen bekommen.“
Mein Gericht beinhaltete dann eine Zutat, die mir von jeher zuwider ist und dennoch der Karte nicht zu entnehmen war: Champignons. Langsam füllte sich der Tellerrand mit den von mir ausselektierten Pilzstückchen, bis mir plötzlich ein Satz aus Ankes Mund noch viel widerlicher aufstieß als meine Sammlung: „Du magst die auch nicht? Da haben wir viel gemeinsam…“. Ich aß.
Die Rechnung wurde präsentiert, ca. 26,90 €. „Oh Gott, Augenblick.“ Mein Portemonnaie wollte nicht aus meiner Gesäßtasche heraus, ich musste etwas zerren, falsche Hose. „Ich habe immer etwas Probleme, mein Portemonnaie hinten aus dieser Hose zu bekommen, haha.“
Noch war ich flapsig.
Dann Anke: „Solange du vorne alles aus deiner Hose herausbekommst, habe ich kein Problem damit.“
Die verbliebene Zeit der Fahrt verbrachte ich ab sofort mit anderen Leuten…